Woche 2 – Lügner! Lügner!
6. Juni 2010 | Von Susanne | Kategorie: Berichte | Letzte Änderung: 7. Juni 2010 um 09:29 UhrDie erste Kampfwoche war vorüber. Der Kern der Kämpfer, bestehend aus Mitgliedern von AStA, StuPa und Fachschaften hatte sich auf dem Gremienwochenende zusammengetan, um die weiteren Schritte zu planen. Seither standen die Demoroute und einige Eckpunkte fest. Die Homepage wurde komplettiert und mit Inhalten gefüttert. Die Gruppe konnte sich fassen, die weiteren Schritte planen.
Wirklich entspannend war das Wochenende jedoch nicht, der Kampfgeist war aber ungebrochen und es konnte Kraft für die zweite Runde gesammelt werden. Ebenfalls Kraft gaben die Bekundungen, die die Kämpfer von überall erreichten. Bilder aus Wasserbahnen im Hansapark und die Solidarisierungsbekundungen aus Hamburg lösten große Freude aus, um nur einige Beispiele zu nennen.
Die folgenden beiden Tage waren ruhiger. Oder besser gesagt: Die Ruhe vor dem Sturm. Für den Mittwoch war ein „Sternmarsch rückwärts“ geplant. In einer öffentlichkeitswirksamen Aktion sollte die „Operation Postwurf“ eingeläutet werden. Zu diesem Zweck mussten Flyer gedruckt, gefaltet und geschnitten werden. In der Zwischenzeit trudelten auch riesige Pakete mit Postern ein. Nebenher wurde ein Plan für die Beschaffung von Merchandise-Artikeln für die Demo aufgestellt: Preise für Shirts, Trillerpfeifen, Regenschutz und ähnliches wurden verglichen, die besten Angebote rausgesucht und bestellt.
Am Mittwoch startete dann der Sternmarsch in der Innenstadt. Bereits am frühen Nachmittag befanden sich einige Studenten in der Fußgängerzone und informierten die Passanten. Eine große
Menge an Leuten fand sich später auf dem Rathausmarkt ein, wo der Sternlauf in umgekehrter Reihenfolge startete. Hilfswillige bekamen einen Packen Flyer in die Hand und einen Laufplan.
Ziel war es, dass jeder Haushalt auf der Altstadtinsel mit Informationen versorgt ist. Dabei wurden über 10000 Flyer an den Mann gebracht – ein großer Dank an die überragende Leistung der
Kämpfer! Gleichzeitig war die Aktion der Startschuss für eine flächendeckende Versorgung des ganzen Stadtgebiets. Seither hängt im AStA-Gebäude ein Stadtplan, auf dem eingezeichnet ist, in
welchen Straßen bereits der Postwurf erfolgt ist. Für die Straßen, die noch nicht versorgt sind, können noch Flyer mitgenommen werden.
Auch die Professoren und Dozenten wurden wieder aktiver. Der Präsident der Uni rief am Mittwoch den Dies academicus für den 16. Juni aus. Wer also zum Demonstrieren nach Kiel fahren will, muss keine Vorlesungen und Kurse schwänzen: Der Tag ist offiziell frei. Außerdem veröffentlichte das Präsidium die mehrfach nachgefragten Unterschriftenlisten, die auf dem Campus und mittlerweile auch schon in der Innenstadt rege Verbreitung gefunden haben. Im AStA stapeln sich bereits die ausgefüllten Blätter, wer noch weitere gesammelt hat, darf diese fern dort abgeben.
Währenddessen handelten die Dozenten der Vorklinik frei nach dem Motto: Wenn Schleswig-Holstein uns nicht haben will, fahren wir eben ins Exil. So verlegten die Professoren Hilgenfeld (Biochemie) und de Wit (Physiologie) ihre Vorlesungen nach Schönberg in Mecklenburg-Vorpommern. Dort sprach sich nicht nur der Bürgermeister der Stadt für die Lübecker Uni und gegen die Schleswig-Holsteinische Bildungspolitik aus, auch die Dozenten hatten die eigentlichen Vorlesungen leicht abgewandelt. So verglich de Wit die aktuelle Situation mit dem menschlichen Körper: Wenn wichtige Organe, wie das Hirn – der Standort Lübeck – nicht ausreichend versorgt sind, so muss das Herz – die Kämpfer für Lübeck – einfach mehr Druck erzeugen. Dies war auch die Botschaft, die das Auditorium nach einem von der Stadt Schönberg zur Verfügung gestellten Mittagessen mit nach Hause nehmen konnte.
Der Donnerstag sollte der wohl brisanteste Tag der Woche werden. Zunächst lief alles wie gewohnt: Die Helfer holten Flyer ab, das Telefon stand nicht still und außerdem erreichte uns ein Statement der Chefärzte der sechs akademischen Lehrkrankenhäuser, die zur Ausbildung der Medizinstudenten wesentlich beitragen. Dr. Martin Willkomm (Krankenhaus Rotes Kreuz, Lübeck), Dr. Thomas Lenk (Timmendorfer Strand), Dr. Roland Preuss, (Ratzeburg), Prof. Doris Bädge (Neustadt), Prof. Peter Zabel (Borstel) und PD Matthias Bahr (SANA, Lübeck) lehnten die Pläne der Landesregierung strikt ab und wiesen noch einmal vehement darauf hin, wie wichtig die medizinische Ausbildung für die gesundheitliche Versorgung und die Wirtschaftlichkeit einer ganzen Region ist.
Gegen Mittag erreichte die Kämpfer ein höchst interessantes Blatt per Email. Es waren 4 der 1500 Seiten aus der Entscheidungsgrundlage der HSK. Zwar fehlten davon 1496, die übrigen vier sollten die Lage aber erheblich verändern. Minutiös aufgelistet stand dort, welche Möglichkeiten es gibt, an den medizinischen Fakultäten zu sparen. Lübeck schließen? Kiel schließen? Die Lübecker Vorklinik nach Kiel verlagern? Oder an beiden Unis gleichermaßen einsparen? Die Entscheidung war offensichtlich leicht gefallen: Lübeck schließen sei lukrativer, da das Klinikum schwarze Zahlen schreibe und weniger sanierungsbedürftig sei – und somit leichter zu veräußern. Auf die anderen Möglichkeiten wurde da schon fast gar nicht mehr eingegangen. Brisant war die letzte Spalte der tabellarischen Auflistung: die Risiken. Detailliert standen dort sämtliche Argumente, die die Lübecker Kämpfer seit zwei Wochen hoch und runter beten: Die Fächer der Uni sind eng verknüpft, die ganze Uni müsste geschlossen werden, Fraunhofer wird nicht kommen, Arbeitsplätze der gesamten Region sind gefährdet, es stehen doppelte Abitursjahrgänge vor der Tür und so weiter. Der Schock saß tief. Während bisher davon ausgegangen wurde, die Regierung hätte sich einfach dilettantisch schlecht informiert, war jetzt klar, dass es ein ganz gezielter Schlag gegen die Universität und die Stadt war. Während noch die Presseabteilung der FDP-Landtagsfraktion damit lockte, wenn wir diese Informationen nicht veröffentlichen, bekämen wir innerhalb von zwei Wochen noch weitere, war klar: Das mussten alle erfahren! Es ging schon an die Nachtstunden, als endlich sämtliche Aussagen der obersten Politiker gesammelt waren, die zu einem Zeitpunkt gemacht wurden, da das Papier definitiv schon vorlag. Der Beweis, dass systematisch gelogen wurde. Waren vor einer Woche vor dem Scandic Hotel die „Lügner! Lügner!“-Rufe noch rein emotional, wurden sie nun zur traurigen Wahrheit. Mitten in der Nacht wurden die gesammelten Argumente nicht nur auf die Homepage gestellt, es ging gleichzeitig eine Mail an alle regionalen und überregionalen Zeitungen sowie diverse Presseagenturen. Der Text beinhaltete die Forderung auf Rücktritt der Regierung. Welche Kreise das ziehen könnte, wusste niemand.
Am Freitag begann also das Warten, auf die Reaktionen der Presse. Die Studenten und Bürger Lübecks hatten schnell Wind von der Sache bekommen und unzählige wütende Kommentare standen bald unter dem Artikel. Der Andrang auf der Seite war unglaublich groß, als der Server vom Netz ging. War es die Überbelastung? Oder ein Hack-Angriff? Die EDV arbeitete schnell und bald konnten wieder alle auf die Homepage und auf die für die Koordination so wichtigen Mail-Verteiler zugreifen. Langsam regte sich dann auch das Interesse der Presse, das Telefon klingelte wieder im Minutentakt und der Pressespiegel begann sich zu füllen.
Dennoch sollte es für die Kämpfer ein etwas entspannterer Tag werden: Auf dem Sommerfest der FH, war eine kleine Abordnung als Mannschaft für den Menschenkicker gemeldet worden.
Ein erster Aufmarsch in gelb, denn in der Zwischenzeit waren einige wenige Probeexemplare der bestellten Shirts mit dem Aufdruck „Lübeck kämpft für seine Uni“ angekommen (die eigentliche Lieferung wird Anfang nächster Woche erwartet, der Verkauf beginnt am Mittwoch beim Transparente-Workshop vor dem Audimax). Mit einem Unentschieden und zwei überragenden
Siegen konnte das Kämpfer-Team den Einzug ins Halbfinale feiern, wo allerdings eine knappe Niederlage gegen den AStA der FH folgte. Davon aber unbeeindruckt wurde im kleinen Finale noch der 3. Platz erreicht und gebührend gefeiert.
Doch auch die restlichen Kämpfer waren in dieser Zeit nicht untätig: Da immer wieder vereinzelte Klagen laut geworden waren, dass wild oder unbefugt plakatiert worden sei, wurde ein Leitfaden für Plakatierer erstellt. Dieser steht nun auf der Homepage bereit und liegt auch im AStA aus. Wir freuen uns zwar über jedes Fleckchen gelb, das neu in der Stadt auftaucht, dennoch bitten wir alle, sich an die Regeln zu halten!
Erfreulicher waren da noch die nach wie vor unzähligen Bekundungen und Aktionen aus allen Bevölkerungsteilen: Das Forschungszentrum in Borstel lobte die Arbeit der Kämpfer und rügte die Regierung für ihre Pläne. Prof. de Wit begann die nächste Exilvorlesung zu planen: Am Montag geht es nach Berlin. Und die größte Freude an diesem Tag bescherte uns Niederegger: Im Schaufenster des Haupthauses an der Breiten Straße war ein Buch aus mehreren Kilo massivem Marzipan aufgebaut. Die rechte Seite komplett in gelb mit schwarzen Lettern „Lübeck kämpft für seine Uni“, die linke Seite mit dem geschwungenen Schriftzug „Ein Herz für die Universität zu Lübeck“. Dies ist nicht nur eine wortwörtlich süße Überraschung, es ist gleichzeitig das erste Mal in der 200-jährigen Firmengeschichte von Niederegger, dass sich das Unternehmen politisch äußert und eine klare Stellung bezieht.
Abends erschienen die ersten Pressestimmen, die sich mit Minister Jost de Jager auseinandergesetzt hatten. Natürlich war keine Reue zu erwarten gewesen und der Kurs des Wissenschaftsministers war der gleiche: So lange er im Amt ist, werde die Abwicklung der medizinischen Fakultät in Lübeck weiter vorangetrieben. Sämtliche im internen Papier aufgelisteten Risiken seien Worst-Case-Szenarien und als eher unwahrscheinlich einzuschätzen, hieß es nur.
Der Kampf musste also weitergehen, bekam am Samstag aber göttlichen Beistand: Pastor Thomas Baltrock eröffnete den Kämpfern die Möglichkeit, die Kirchenbesucher der St. Aegidien-Gemeinde über die Situation zu informieren und Flyer und Plakate zu verteilen. Außerdem übte er in seiner Predigt harsche Kritik an den Politikern und forderte die Gemeinde auf, von der göttlichen Gabe der freien Meinungsäußerung gebrauch zu machen und gegen die Pläne der Regierung weiter anzukämpfen.
Seit Samstag ist übrigens das Universitätsklinikum in ein knalliges Gelb getaucht. Jeder freie Platz an Pfosten, Säulen, Wänden und Balustraden ist bestückt mit unseren Plakaten. Der Dank gilt hier
den fleißigen Aufhängern genauso wie allen anderen, die in dieser zweiten Woche mitgewirkt haben. Wir sind auf dem richtigen Weg und müssen nun dran bleiben! Weiter so!
Auch aus Sieverstedt (Kreis Schleswig-Flensburg) kämpfe ich aktiv FÜR LÜBECK und
habe bereits unzählige Mails an Politiker und Zeitungen geschrieben
und na klar habe ich den gelben Flyer “Ich kämpfe für die Uni Lübeck” am Auto!
Weiter so! Wir schaffen das!
Schöner Artikel!
[...] sind auf den Internetseiten der Bewegung dokumentiert: Woche 1: Wir sind hier! Wir sind laut! Woche 2: Lügner! Lügner! Woche 3: Kämpfen, Lübeck! Kämpfen! Woche 4: De Jager, Versager! Woche 5: Rücktritt! [...]